Der Geist ruft aus der Ferne

2015 - Rainer Hoffmann & Erika Harzer

Der Geist ruft aus der Ferne

[Fernsehfilm 62 Min.]

Im Bernischen Historischen Museum in der Schweiz entdeckt Elizabeth Salguero, die Botschafterin Boliviens die Illa del Ekeko. Eine Sensation, denn die kleine Statue, die zu den wichtigsten Gottheiten der Andenbevölkerung zählt, gilt seit über 150 Jahren als verschollen. Damit beginnt ein Ringen um Restitution: Für den bolivianischen Präsidenten Evo Morales wird es zur Chefsache die heilige Statue zurück zu holen. Die Museumsleitung hingegen repräsentiert die traditionelle westliche Position und fürchtet einen Präzedenzfall im Umgang mit geraubten Kulturgütern.
Der Film begleitet diesen zähen, von vielfältigen Interessen beeinflussten Prozess und erzählt zugleich von den politischen, historischen und religiösen Hintergründen dieses außergewöhnlichen Falls.

 

Synopsis

Aus dunkelgrün schimmerndem Stein geformt, mit leeren Augenhöhlen, einem markanten Gesicht, rundem Körper und gerade mal 16 cm hoch, so harrt eine kleine Steinskulptur der weiteren Entwicklung der Dinge, die um sie herum für sehr viel Aufsehen sorgen. Sie ist ein Ausstellungsstück des Bernischen Historischen Museums/ BHM und Gegenstand einer Kulturgüterrückgabeforderung, gestellt vom Plurinationalen Staat Bolivien an das BHM. Ein Unruhestifter also inmitten der so ruhigen Museumsräume.
Verkörpert sie die Illa de EKEKO, wie die Bolivianer es behaupten, diese von den Aymara-Völkern der Anden verehrte Gottheit des Glücks, der Fruchtbarkeit und des Wohlstands? Oder verkörpert die Skulptur eine andere Figur, eine Göttin? Oder ist es eine Skulptur ganz ohne religiöse Bedeutung?
Fest steht, diese Statuette kam vor mehr als 150 Jahren in die Schweiz, mitgebracht vom Glarner Forschungsreisenden, Linguisten und Diplomaten Johann Jakob von Tschudi. In seinen Reisenotizen beschreibt er, wie er diese Skulptur den Indigenen in Tiahuanaco mit List und Alkohol entwenden konnte. Tiahuanaco war von 1580 v. Chr. bis 1172 n. Chr. das Zentrum der andinen Hochkultur der Aymara. Noch heute ist diese Ruinenstadt kosmisches und mythisches Zentrum für das Volk der Aymara. Sie gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Seit Herbst 2012 ist Elizabeth Salguero Carillo Botschafterin des Plurinationalen Staates Bolivien für die Schweiz, Deutschland, Polen und Rumänien. Ihren Antrittsbesuch in Bern verbindet sie mit einem Besuch im BHM. Dort erkennt sie in der ausgestellten Skulptur den vermissten Ekeko. Begeistert von diesem Fund sucht sie nach Belegen für dessen Echtheit.
Mitte Mai 2013 erhält das BHM die offizielle Restitutionsforderung seitens der bolivianischen Regierung. Der Prozess ist angeschoben. Mit all seinen Widersprüchen. Da ist auf der einen Seite die Forderung der Bolivianischen Regierung nach Rückgabe. Die Skulptur des Ekeko sei widerrechtlich entwendet worden und im andinen Hochland warte deren Geist sehnlichst darauf, sich wieder mit seinem Leib, seiner steinernen Verkörperung, vereinigen zu können. Erst dann, so der Glaube der Schamanen, könne er wieder seine volle Kraft entfalten und sie zum Wohl des bolivianischen Volkes einsetzen. Mit dem Amtsantritt des ersten indigenen Präsidenten Evo Morales im Jahr 2006 erlangen die seit Jahrhunderten unterdrückten indigenen Völker in Bolivien wieder Bedeutung. Dazu gehören ihre Traditionen, ihre Rituale und religiöse Zeremonien und eben ihre Gottheiten. Diese Traditionen auszugraben und ins öffentliche Alltagsleben zu integrieren gehört zum Dekolonialisierungsprozess der indigenen Völker Boliviens.
Auf der anderen Seite steht das BHM, das diese Statue 1929 von Erben des Herrn von Tschudi erworben hat und sie als Teil seiner Dauerausstellung betrachtet. Das Museum legt Wert darauf, die Herkunft und Definition der Statue wissenschaftlich klar bestimmen zu können. Es möchte eine politische Instrumentalisierung vermeiden, scheut die Öffentlichkeit und machte zumindest anfangs den Eindruck, etwas schwerfällig mit der Rückgabeforderung umzugehen. Massgeblich für die Prüfung sind die Richtlinien der Ethik-Kommission des Internationalen Museumsrates.
Wie schauen die Verhandlungen aus? Werden sie auf Augenhöhe geführt? Braucht es zum Dialog mehr als Sprachvermittler, braucht es interkulturelle Interpreten? Gibt es bereits ähnliche Fälle, bei denen zufriedenstellende Lösungen für beide Parteien gefunden wurden? Was bedeuten Rückgabeforderungen von Kulturgütern für die aktuellen Konzepte der ethnologischen, archäologischen und historischen Museen? Wie stark sollte die Öffentlichkeit an einer solchen Debatte einbezogen werden? Wie schnell kommt es zu Fehlinterpretationen, gar zu Anschuldigungen aufgrund fehlendem Informationsfluss durch die Verhandlungspartner? Welche Rolle spielt die Politik?

 

Zur Wichtigkeit des Dokumentarfilm „Der Geist ruft aus der Ferne“ – auch wenn der Fall vielleicht abgeschlossen erscheint!

Der Dokumentarfilm „Der Geist ruft aus der Ferne“ zeichnet ein Ereignis der Zeitgeschichte paradigmatisch nach: den Streit um die Forderung Boliviens nach Rückgabe des Ekeko, einer Götterstatuette aus dem Bestand des Bernischen Historischen Museums. Mittlerweile sind die Verhandlungen abgeschlossen, der Ekeko ist zurück in Bolivien, wo er Mitte des 19. Jahrhunderts geraubt wurde. Zu klären bleibt jedoch, wie es dazu kam – und ob hier ein Präzedenzfall geschaffen wurde.
Am 30.11.2014 überschlug sich die Tagespresse mit Eilmeldungen: „Der Ekeko ist zurück und steht der Bolivianischen Öffentlichkeit zu Verfügung“; „Das Bernische Historische Museum teilt mit, es habe dem bolivianischen Nationalmuseum für Archäologie in La Paz eine Steinfigur übergeben“. Dann jedoch die Meldung: „Der Museumsdirektor in La Paz weiss von nichts!“ „Dass die Rückgabe offiziell verkündet wurde, erfährt er erst durch die Zeitung Der Bund“, berichtet Timo Kollbrunner für den Tages-Anzeiger aus La Paz. „Die Steinfigur ist gar nicht der Ekeko,“ erklärt der Direktor des Bernischen Historischen Museums, Dr. Messerli und betont gleichzeitig die „außerordentliche Win-win-Situtation“. „Ich bin zufrieden mit dem Ausgang der Geschichte“, erklärt die Bolivianische Botschafterin im Schweizer Radio.
Win–win? Plötzlich allgemeine Zufriedenheit? Nach über einem Jahr geheimer Gespräche, begleitet von populistischen Schlagzeilen wie „Rücken Sie den Ekeko endlich raus, Herr Messerli“, oder „Gebt uns die Statue zurück!“ stellt sich die Frage: Was ist passiert? Wurde wirklich eine einvernehmliche Lösung gefunden? Wurden die Verhandlungen auf Augenhöhe und mit dem gebotenen Respekt vor den kulturellen Unterschieden geführt? Konnten neue Wege im interkulturellen Austausch gefunden werden? Warum wurde die Öffentlichkeit von dem Diskussionsprozess ausgeschlossen? Warum verweigerte das Museum dem Bolivianischen Präsidenten Evo Morales die Bitte, den Ekeko persönlich in Bern in Empfang zu nehmen und sich auf diesem Weg bei den Schweizern bedanken zu können?
Auf diese Fragen fokussiert der Dokumentarfilm „Der Geist ruft aus der Ferne“. Er erforscht die Hintergründe der überraschenden Rückgabeaktion und geht weiterhin am Fall des Ekeko der Frage nach, wie die Restitution von Kulturgütern für beide Seiten gewinnbringend gestaltet werden kann. Denn es besteht kein Zweifel, dass es in den nächsten Jahren immer mehr vergleichbare Fälle geben wird.

 

Ein Film von: Rainer Hoffmann & Erika Harzer        
Bildgestaltung: Rainer Hoffmann
Schnitt: Julia Karg
Ton: Thomas Keller

 

Eine Produktion der PS FILM GmbH
in Koprodiktion mit dem Schweizer Radio und Fernsehen, Estado Plrinacional de Bolivia Ministerio de Culturas y Turismo

Redaktion: Denise Chervet u. Urs Augstburger


Mit Unterstützung von:
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